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Goldman und Google befeuern Kapital-Sprint im Legal-Tech

Gerade bekannt geworden ist, dass Harvey AI sich über einen Investitionszuschuss von 100 Millionen Dollar freuen darf. Zum Vergleich: Eine der größten Kanzleien in Deutschland – Magic-Circle-Kanzlei Linklaters – macht im gesamten Jahr einen Umsatz (nicht Gewinn!) von etwas über 200 Millionen Euro. Und Harvey AI, das vor allem durch seine Unterstützung von OpenAI mit Spannung beobachtet wird, ist damit ein klarer Geringverdiener im Vergleich zum Kollegen aus Vancouver. Dort sammelte Clio unfassbare 900 Millionen Dollar! Das bedeutet ein enormes Wachstumspotenzial und sorgt für einen Ruck in der gesamten Rechtsbranche. Denn so viel Geld bietet die Möglichkeit zu einer ausgereiften Entwicklung eines potenten Produkts, das den Trend der KI-Disruption in exponentiellem Sinne fortsetzen könnte. Doch wofür braucht man das ganze Geld? Wo kommt es überhaupt her und wie versprechen sich die Investoren einen Gewinn? Und was bedeutet das für Rechtsanwälte in Deutschland? Und was hat das mit der Serie „Suits“ zu tun?

1. Wer ist überhaupt Harvey?

Abgesehen von dem Co-Protagonisten aus der weltweit beliebten Jura-Serie Suits ist Harvey AI eine künstliche Intelligenz. Und die kann es sogar mit dem Suits-Kollegen Mike Ross in Sachen Rechtsverständnis aufnehmen. Tatsächlich passt aber der Vergleich ganz gut: Was Mike Ross in der Serie so erfolgreich macht ist sein überdurchschnittliches Gedächtnis. Und natürlich hilft es einer Kanzlei, wenn sie einen Anwalt mit fotografischem Gedächtnis in ihren Reihen haben – da drückt man auch mal bei der Anwaltszulassung ein Auge zu.

Doch was, wenn man sich nicht nur überdurchschnittlich viel merken kann, sondern alles? Jede jemals gehörte, gelesene oder sonstig mitbekommene Information, für immer im Gedächtnis gespeichert und in einer Millisekunde abrufbar. Da würde man es doch mit der Anwaltszulassung noch weniger eng sehen, oder?

2. Der KI-Anwalt, der keiner ist

Nun ja, genau so ist es eben bei Harvey AI. Natürlich ist eine KI kein Anwalt. Dass man trotzdem für sie Milliarden zahlt liegt aber an der sonstigen Intelligenz. Mike Ross kann sich problemlos den gesamten Jura-Stoff der beiden Staatsexamen in wenigen Wochen draufschaffen. Eine KI kann es noch viel schneller. Das macht sie nicht zu einem staatlich anerkannten Anwalt, aber das macht auch nix. Denn sie kann im Hintergrund die Aufgaben vorläufig lösen und dann werden sie von einem wirklichen Anwalt überprüft.

3. Es werden tausende Anwälte eingestellt – alle ohne Staatsexamen!

Und deswegen ist es für den Wert von Harvey AI für eine Kanzlei völlig belanglos, ob denn eine KI wirklich schon genau so gut den Sinn eines BGH-Urteils erfassen kann wie ein Mensch. Es fallen regelmäßig weitaus simplere – fast schon stupide – Aufgaben im Kanzleialltag an. Durch Automatisierung und Vorformulierung lässt sich hier Zeit sparen. Laut Law.com mit Harvey AI sogar 45% beim Anfertigen des ersten Entwurfs.

Und dass Zeit Geld ist, wird man gerade Kanzleien nicht erklären brauchen. Und so werden viele tausende Kanzleien weltweit bei KI-Unterstützung zuschlagen. Für Harvey AI heißt das, dass er, sobald er einmal entwickelt ist, sich bis ins Unermessliche skalieren kann und so gut wie jede Investition locker wieder hereinwirtschaften kann. 100 Millionen sind da eben noch gar nix.

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4. Racing to the moon

Vielmehr kann es momentan gar nicht genug Geld geben bei der Entwicklung von Rechts-KI. Es geht gerade (und in abgeschwächter Form schon seit mehr als 5 Jahren) darum, sich als Marktführer zu etablieren. An welchen KI-Chatbot denken Sie zuerst, wenn sie einen nennen sollten? Welche KI würden sie zu einem Entwirf einer Mail fragen? Den meisten werden nicht die KI-Modelle von Google oder anderen in den Kopf kommen (die technisch durchaus ebenso fähig sein können), sondern man denkt an ChatGPT. Die Veröffentlichung vor bald 2 Jahren löste einen Hype aus, der erst jetzt so langsam abebbt. Und das kam zu einem Großteil daher, dass OpenAI die Welt mit seinem Produkte völlig Überraschte – und der Konkurrenz damit zuvorkam. Und gleiches versuchen nun auch mehrere große Player für eine Law-AI, die sich dann möglichst ebenso flächenbrand-artig in den Kanzleien der Welt verbreiten soll.

5. 900 Millionen Dollar…

…kann man dafür auch gut gebrauchen. Die Entwicklung bzw. das Training von KI ist eine Fleißarbeit und wird erst mit gigantischen Datenmengen wirklich effektiv. Bei KIs für die Rechtsbranche kommt hinzu, dass eine besonders ausdifferenzierte und anspruchsvolle Materie gelernt werden soll. Zudem muss jegliche Form des Halluzinierens unter allen Umständen vermieden werden, da sonst das Vertrauen in die Richtigkeit der Ergebnisse verloren ginge. Und gerade eine enorm hohe „richtig“-Quote wird am Ende das Verkaufsargument gegenüber anderen Mitbewerbern sein, schließlich geht es bei der Kanzleiberatung um facettenreichere Texte und juristische Spitzfindigkeiten im Vergleich zur Zusammenfassung eines Artikels oder dem Formulieren einer gewöhnlichen Mail. Harvey AI sowie auch Clio können also jeden Cent gut gebrauchen, um ihren Launch möglichst zeitnah, als erstes und als bestes Produkt finalisieren zu können. Doch was kommt dann auf Anwälte zu?

6. Bedeutung der KI für Anwälte in Deutschland

Grundsätzlich bedeuten diese Finanzspritzen, dass nun wirklich bei den ohnehin schon großen Kandidaten genügend Kapital vorhanden ist, um tatsächlich potente Produkte auf den Markt zu bringen. Wenn man bedenkt, das mit ChatGPT einfachste juristische Fragen in Sekundenschnelle beantwortet werden können, dann muss man nicht sehr futuristisch denken, um sich die Fähigkeiten genau dieses Sprachmodells von OpenAI bei Harvey vorzustellen. Seit Jahren forschen die größten Wirtschaftskanzleien der Welt an KI-Modellen und nutzen sie teils schon in ihrem Alltag. Doch was nun kommt, ist genau das, was im November 2022 alle befürchtet, gehypt oder prophezeit haben: Wir werden bald in die Ära eintreten, in der KI so selbstverständlich bei der Kanzlei-Arbeit neben uns sitzt wie ChatGPT es bei den Hausaufgaben von Schülern getan hat.

Das ist jedoch nicht als Schwarzseherei gemeint. Es ist ein schon lange erwarteter Schritt in der natürlichen Entwicklung der Arbeitswelt. Er wird zu anfänglichem Chaos führen, zu Nachteilen und zu einer Disruption. Doch er wird auch neue Chancen bringen und er wird nicht den Weltuntergang für Anwälte bedeuten. Vielleicht sogar eher den Anfang einer anderen, entspannteren und angenehmeren Arbeitswelt in der Rechtsbranche. Denn Legal Tech hat nichts anderes zum Ziel – ob es eine Kanzleisoftware ist oder 900-Millionen-geförderte KI: Sie soll dem heutigen Stand der Technik entsprechend Anwälten die Arbeit erleichtern und für mehr Profit in der Kanzlei sorgen.

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