Viel zu oft scheuen Menschen den Gang vor Gericht! Eine nicht schätzbare Dunkelziffer an eigentlich juristischen Streitigkeiten landet niemals in einer Akte. Generative KI bietet eine generationenübergreifende Chance für NGOs und Vereine der Rechts-Hilfe, die Gerechtigkeitslücke zu schließen, erklärte Hauptrednerin Laura Safdie den rund 350 Teilnehmern, die in Phoenix zum ersten AI for Legal Aid Summit zusammenkamen. In der Tat können simpel zu bedienende und übersichtliche Apps Rechtssuchenden komplizierte Vorgänge einer Klage leichter machen. Und die finanzielle Sicherheit bei Legal-Tech-Unternehmen, die im Falle einer Niederlage die Kosten übernehmen und im Falle eines Sieges eine Provision nehmen, wird vielen die Sorge vor dem Erheben einer Klage nehmen. Doch kann Legal Tech mit KI wirklich zu mehr Gerechtigkeit führen? Und was heißt das für unsere Gesellschaft und für Anwälte?

1. AI for Legal Aid Summit
Beim Inaugural AI for Legal Aid Summit ging es (wie der Name schon sagt) um genau dieses Thema. Laura Safdie (Linked-In-Profil) ist Rechtsanwältin in den USA und eine führende Speakerin im Bereich Legal Tech, sowie ehemalige Mitbegründerin von Casetext und derzeitige Leiterin der Innovationsabteilung für den Rechtsbereich bei Thomson Reuters, das Casetext und seinen generativen KI-Rechtsassistenten CoCounsel im Juni 2023 übernommen hat, verwies auf Daten, die zeigen, dass mehr als 90 % der zivilen Klagen (in den USA) nicht vertreten werden, und sagte, sie sehe eine transformative Chance für sog. Rechtshilfeorganisationen (legal aid), generative KI zu nutzen, um diese auch in Deutschland durchaus bestehende Lücke zu schließen.
2. Bitte keine Halluzinationen
Sie sagte, dass die Veröffentlichung von GPT-4 einen bedeutenden Wendepunkt darstelle, der die Entwicklung von KI-Lösungen ermögliche, die sich zuverlässig auf bestimmte Quellen juristischen Wissens beschränken lassen – was sie als eine entscheidende Entwicklung für die professionelle juristische Arbeit bezeichnete. Denn nur so kann ein Halluzinieren und Reproduzieren von juristisch inorrektem Inhalt in Internet-Foren vermieden werden. Gerade vor Gericht reicht Google eben nicht. „Wenn die Rechtshilfe-Community Zugang zu KI erhält, das Wissen, wie man sie einsetzt, und die von Gleichgesinnten entwickelten Erkenntnisse und bewährten Praktiken, … dann erleben wir vielleicht eine neue Generation, die die Chance hat, die Gerechtigkeitslücke in Amerika erheblich zu verringern“, sagte Safdie laut dem englischen Medienbericht von lawnext.


3. Regulierung oder nicht?
Safdies Eröffnungsrede war bezeichnend für die Stimmung der Teilnehmer des sechsstündigen Gipfeltreffens, bei dem die Redner das transformative Potenzial von Gen-KI für die Rechtsbranche allgemein betonten und gleichzeitig die Notwendigkeit einer sorgfältigen Implementierung von Qualitätskontrollstandards hervorhoben. Interessanterweise besteht selbst in den No-Regulation-USA zumindest im Bereich Legal Tech weitgehender Konsens darüber, dass KI mit Jura gepaart eine Kraft ist, die durchaus einer Regulierung staatlicherseits bedarf. So wird etwa von den Penalists in LegalTech Week, einem internationalen, englischsprachigen und hochklassikem Legal-Tech-Podcast zu den Entwicklungen in den USA und UK, zwar anerkannt, dass die von Trump geplante Deregulierung wirtschaftliche Chancen bietet, jedoch im Gerichts-Kontext sehr aufgepasst werden muss.
4. Wirklich mehr Gerechtigkeit?
Der Grundsatz ist einfach: Viele Bürger trauen sich momentan schlicht nicht, ihre Rechte gerichtlich durchzusetzen. Für juristische Laien ist ein Gerichtsprozess intransparent, beängstigend und von finanzieller Sorge geprägt. Anwaltskosten sind teuer und so verzichtet man meist dann eben doch auf eine Klage oder „lösen“ ihre Probleme auf eigene… Faust. Das ist das Gegenteil von dem, was wir als Rechtsstaat wollen. Das Gewaltmonopol liegt beim Staat und er soll Streitigkeiten jeglicher Art klären. (Grund)Rechte nützen nichts, wenn wir sie nicht wahrnehmen. Und wie oben angedeutet kann Legal Tech hier durch niedrigschwellige Angebote helfen. Doch dazu müssen auch die Gerichte erst einmal digitaler werden, um mit der neuen Flut an Klagen klarzukommen.

5. Fazit
Bob Ambrogi ist ein Veteran des Legal-Tech-Bereichs und liefert schon seit Jahren stets wichtige Updates zu Entwicklungen. Er fasste die Aussagekraft des Treffens allgemein für Legal Tech sehr passend zusammen: „The fact that 350 people – nearly half of all those who registered for the ITC conference – showed up a day early to attend this summit demonstrates that many are thirsty for more knowledge about how AI can help them help their clients.“ Wenn aber selbst KI schon diesen Status erreicht hat, wie kann es dann hier in Deutschland immer noch Papier-Kanzleien geben, die sich rigoros gegen einen kleinen ersten Schritt wie eine Kanzleisoftware wehren? Wenn doch sogar das beA verpflichtend ist, dann kann doch Digitalisierung gar nicht so schlecht sein.