Gezockt und verloren. Glücksspiel kann schon in der analogen Welt mit hohen Verlusten und existenzbedrohenden Süchten einhergehen. Online wird dieses Risiko noch um ein Vielfaches potenziert: Der nächste Dopaminrausch ist nur wenige Klicks entfernt. In der analogen Welt gilt: „Wettschulden sind Ehrenschulden“. Wer hier seinen Einsatz zahlt, hat gem. §§ 762 Abs. 1 S. 2 BGB keinen Anspruch auf Rückzahlung. In der Welt des Online-Glücksspiels gilt dieser Grundsatz (vorerst) sehr eingeschränkt. Wie altbekannte und neue Legal Techs aus diesem Umstand ein Geschäftsmodell entwickeln, beleuchten wir in diesem Beitrag.
1. Undurchsichtige Rechtslage
Bis Ende Juni 2021 war Online-Glücksspiel in Deutschland mit Ausnahme von Schleswig-Holstein gem. § 4 Abs. 4 des Glücksspielstaatsvertrages 2012 verboten. Am 01. Juli 2021 trat der neue Glücksspielstaatsvertrag in Kraft, wonach das Angebot von Online-Glücksspiel mit Erteilung einer nationalen Lizenz erlaubnispflichtig wurde. Bisher wurde jedoch beim zuständigen Landesverwaltungsamt von Sachsen-Anhalt noch keine dieser Lizenzen erteilt.

Dennoch bieten die Veranstalter von Online-Glücksspiel ihre Dienste weiterhin an. Das Geschäft ist einfach zu lukrativ: Während auf dem regulierten deutschen Glücksspielmarkt 2020 ein Umsatz von 11,7 Mrd. Euro erzielt wurde, erwirtschafteten Online-Casinos im nicht regulierten Markt im selben Jahr 477 Mio. Euro Umsatz.[1] Daher ist es kein Wunder, dass Anbieter von Online-Casinos weiterhin mit aufwändigen Werbespots im gesamten Bundesgebiet oder über Kooperationen mit bekannten Streamern auf YouTube oder Twitch werben.
Dennoch ist Fakt: Ein Großteil der online erzielten Umsätze wurde illegal erwirtschaftet: Mit Ausnahme der Einwohner von Schleswig-Holstein hat jeder Nutzer von Online-Casinos daher grundsätzlich einen bereicherungsrechtlichen und ggf. deliktischen Rückzahlungsanspruch gegen den Betreiber.
2. Gerichte geben Verbrauchern recht
In einigen Fällen haben Gerichte diesen Rückzahlungsanspruch der Verbraucher jedoch abgelehnt. Grundlage dieser Entscheidung war die Annahme, dem Spieler hätte bewusst sein müssen, an illegalem Glücksspiel teilgenommen zu haben. Ist dies der Fall, wäre ein bereicherungsrechtlicher Rückzahlungsanspruch ausgeschlossen. Auf diese Argumentation berufen sich regelmäßig auch die Anbieter des Online-Glücksspiels: Da sie in ihrer Werbung stets auf die Einschränkung des Angebots an Teilnehmer aus Schleswig-Holstein hingewiesen haben, hätten sie hier ihrer Sorgfaltspflicht Genüge getan. Dass es an sich schon widersprüchlich ist, einen Werbespot dann bundesweit zu schalten und ein Durchschnittsverbraucher darüber hinaus durch eine bundesstaatliche Begrenzung von Angeboten im Internet eher überrascht sein dürfte, zeigt die Fragilität dieses Arguments.
So hat es nun auch das OLG Frankfurt am Main als bundesweit erstes Oberlandesgericht gesehen.[2] Zwar bestätigt es die Feststellung, dass eine Rückzahlung in Kenntnis der Illegalität des Glücksspiels ausgeschlossen ist, überträgt die Beweislast für den Nachweis der Kenntnis jedoch auf den jeweiligen Anbieter. In seinem Urteil war für das OLG besonders die angesprochene Widersprüchlichkeit des Verhaltens der Anbieter entscheidend. Nimmt der Anbieter des Glücksspiels an, legal zu handeln, könne seinem Nutzer nur schwerlich das Gegenteil unterstellt werden.

So verwunderlich wie die Widersprüchlichkeit des Verhaltens der Anbieter ist jedoch auch die Untätigkeit der Aufsichtsbehörden. 18,6 % betrug 2017 der Anteil der mindestens problematischen Glücksspieler bei Online-Casinospielen.[3] Die Corona-Pandemie dürfte diese Zahl noch potenziert haben. Angesichts der offensichtlichen Illegalität eines Großteils des Angebots der Online-Casinos sind die großen Anbieter am Markt weiterhin abruf- und nutzbar. Weshalb hier nicht eingeschritten wird, kann nur gemutmaßt werden. Möglicherweise hindern die Unternehmenssitze in vorwiegend Malta, Zypern oder Übersee die Vollstreckung. Jedoch scheint es auch an einem ausreichenden Willen zum Tätigwerden zu mangeln.
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3. Die Rolle der Legal Techs
Die aus dieser Untätigkeit erwachsenden Schäden machen sich nun Legal Techs zunutze. Bekannt aus Konstellationen um Fluggastrechte, Mietminderungen und dem Dieselkomplex haben Unternehmen wie Helpcheck, Chargeback24 oder MyRight das hohe Standardisierungspotenzial der Schadensersatzforderungen bei Online-Casinos erkannt. Die Konstellationen sind hier meist nahezu identisch: Ein Online-Spieler erlitt (hohe) Verluste bei einem Online-Casino, sein Wohnsitz liegt außerhalb Schleswig-Holsteins und er hat keine Kenntnis von der Illegalität des Angebots. Dieses Standardisierungspotenzial ermöglicht Skaleneffekte: so lassen sich durch standardisierte Schriftsätze, einheitliche Abläufe und Automatisierungen Aufwand und damit Kosten einsparen und Gewinne maximieren.

Trotz der immer gefestigteren Rechtsprechung weigern sich immer mehr Anbieter die Schadensersatzforderungen zu begleichen. Eine Vollstreckung in den Herkunftsländern gestaltet sich jedoch sehr mühsam und langwierig. Dazu kommt noch die lange Verfahrensdauer, die sich durch die Kommunikation über die Landesgrenzen noch verzögert.[4] Angesichts der hohen Risiken und der mehrheitlich prekären finanziellen Situation der Geschädigten ist für diese das Vorstrecken der Kosten in der Regel nicht möglich. Daher bieten die Legal Techs verschiedene Finanzierungsmodelle an:
Helpcheck und Chargeback24 setzen auf Prozesskostenfinanzierung: Hier werden die Kosten gegen eine Provision vorgestreckt. Angesichts der Risiken beträgt diese im Mittel 38 %.[5] RightNow setzt dagegen auf sein bewährtes Abtretungsmodell und kauft dem Verbraucher seine Forderung abzüglich einer Provision ab. Anschließend wird der Schadensersatzanspruch in eigenem Namen durchgesetzt. Das Modell der Prozesskostenfinanzierung hat den Nachteil, dass der Verbraucher am Ende kein Mitspracherecht mehr bzgl. der Höhe eines möglichen Vergleiches hat. Diese Entscheidung obliegt dann den Prozesskostenfinanzierern.[6] Dagegen bekommt der Kunde bei RightNow eine sofortige Auszahlung und kann seinen Fall dann ohne weiteren Aufwand in fremde Hände abgeben.

4. Fazit
Legal Techs entdecken immer weitere Geschäftsbereiche für sich und ermöglichen so Verbrauchern den Zugang zu Recht. Diese positive Entwicklung ist ein gutes Signal gegenüber Unternehmen, die mit illegalen Praktiken hohe Gewinne zulasten vulnerabler Gruppen erwirtschaften. Dass sich die durch RightNow und Co eingegangenen Risiken auszahlen, verspricht auch in Zukunft das Erschließen neuer Betätigungsfelder und damit einen verbesserten access to justice.
Im Komplex der Online-Casinos verbleibt jedoch die Frage, ob und wie das Geschäftsmodell tragfähig bleibt. Sind die bestehenden Schadensersatzforderungen der Spieler eingetrieben, ist fraglich, ob hier neue Forderungen entstehen dürften. Angesichts der intensiven Berichterstattung der letzten Monate, dürfte es für die Anbieter von Online-Casinos immer leichter werden, den Spielern eine Kenntnis von der Illegalität des Angebots nachzuweisen.

[1] https://de.statista.com/themen/570/gluecksspiel/#topicHeader__wrapper
[2] Beschluss vom 08.04.2022 – 23 U 55/21: https://openjur.de/u/2397935.html