Die Universität des Saarlandes hat unter Leitung von Prof. Georg Borges zum Thema Smart Contracts ein Sandkastenexperiment durchgeführt. Ziel war es die hoch komplexe und bisher unsichere Rechtslage in einem fiktiven Gerichtsverfahren vor dem sogenannten „LG Südlingen“ durchzuspielen und dabei Anhaltspunkte für die Praxis zu liefern. So soll der bisherigen Rechtsunsicherheit entgegen gewirkt werden und der Einsatz von KI im Rahmen von selbstvollziehenden Verträgen attraktiver gemacht werden. Im Rahmen des Urteils wurden so mit echten Anwälten, Richtern und Gutachtern möglichst viele fiktive Probleme aufgegriffen und eingeordnet. Eine Art Präzedenzfall besteht nun also, auch wenn laut Borges ein realer Fall hierzu noch lange auf sich warten lassen wird. Doch wieso der ganze Aufwand? Und was kam raus?

1. Was sind Smart Contracts?
Sehr vereinfacht gesprochen kann man Smart Contracts sich als tatsächlich als sehr schlaue Verträge vorstellen. Im Gegensatz zu ihren gewöhnlichen Kollegen bestehen sie nämlich nicht nur auf einem Stück Dokument, sondern sie handeln selbst. Und zwar können sie automatisiert ihre eigene Durchsetzung einklagen, ihre Fristen anmahnen oder sogar (der wohl berühmteste reale Fall) bei Beendigung des Vertrags automatisch ein etwa vermietetes Auto sperren und so dem Mieter die Nutzungsmöglichkeit entziehen.
Smart Contracts sind damit Teil der Automatisierung des Rechts im Rahmen von Legal Tech. Sie erscheinen als logischer Entwicklungsschritt in einer digital vernetzten Welt, bergen jedoch durch die Umgehung der Gerichte auch Risiken. Ausführlich hierzu das sehr empfehlenswerte Buch „Smart Contracts“ von Martin Fries und Boris P. Paal, welches es kostenlos im Internet gibt.
2. Was für ein Projekt wurde durchgeführt?
Das Projekt der Uni Saarland leitet Georg Borges im Rahmen des Projekts „Industrie 4.0 Legal Testbed“ (legaltestbed.org), das vom Bundeswirtschaftsministerium mit mehreren Millionen Euro gefördert wird. Hier arbeitet ein interdisziplinäres Forschungskonsortium unter anderem an einem Softwareagenten, der vollautomatisiert Verträge abschließt, so die Website der Uni. Bei der Studie zum „LG Südlingen“ wurde nun erforscht, wie ein Gerichtsverfahren samt Rechtsstreitigkeiten, Beweislastproblemen und fachlichen Gutachten zum Thema Smart Contracts ablaufen würde. Das LG Südlingen muss Ihnen übrigens nicht bekannt sein – es existiert nicht und diente nur dem fiktiven Gerichtsverfahren. Die Uni beschreibt das Ziel ihres Projekts so: „Im Recht-Testbed entwickeln die Partner ein digitales Experimentierfeld für automatisierte Geschäftsprozesse. Das Recht-Testbed dient dazu, Politik und Unternehmen Handlungsempfehlungen für neue rechtliche Standards zu geben. Die Forscherinnen und Forscher betrachten hierfür sämtliche Geschäftsprozesse und entwickeln technische Agenten, die vom automatisierten Kennenlernen über Vertragsverhandlungen bis hin zu Abschluss und Vertragsausführung alles rechtssicher unter Dach und Fach bringen. Georg Borges und sein Team am Institut für Rechtsinformatik erarbeiten hierbei Lösungen für vertragliche, haftungsrechtliche und datenschutzrechtliche Aspekte sowie für Beweisfragen der Industrie 4.0 einschließlich der IT-Sicherheit und juristischen Bewertung im Rahmen des Zivilrechts.“ (Quelle)


3. Was kam raus?
Natürlich ist nun die spannendste Frage, wie das Gericht entschieden hat! Oder? Falsch, denn darum ging es nie wirklich. Ob hier nun Kläger oder Beklagter recht bekommt ist am Ende weniger entscheidend, als die einzelnen Antworten der Rechtsfragen für sich. Wer haftet wann für was? Wer muss die Beweislast tragen? Und lässt sich so eine Beweisführung eigentlich rechtssicher digital abbilden?
Denn in dem Versuch ging es auch darum, dass die Smart Contracts auf Basis der Blockchain vollzogen wurden. So wurde jeglicher Vorgang dezentral dokumentiert und konnte vor Gericht nachvollzogen werden. Doch leider sind Smart Contracts eben doch nicht so einfach, dass sie über die Blockchain simpel zurückverfolgt werden können und dann wie normale Verträge behandelt werden. Es geht eben über den Fall Mensch-Mensch (Brötchenkauf) und Maschine-Mensch (etwa Kauf an Warenautomat) hinaus. Wenn der Vertrag aus Maschine-Maschine besteht, fragt sich schon, wie das nun juristisch zu beurteilen ist, wenn der Rückgriff auf die dahinterstehenden Verantwortlichen (Betreiber/Entwickler) nicht sachgerecht ist. All diese spannenden Fragen gibts samt Antworten übrigens in einem zusammenfassenden Kurzfilm der Uni bzw. in einem Videopodcast des Leiters.
4. Der Mehrwert vom LG Südlingen
Und viel entscheidender als der Urteilstenor ist für diese Simulationsstudie, dass überhaupt einmal über all diese Fragen nachgedacht wurde. Denn bisher herrscht große Unsicherheit beim Einsatz von Smart Contracts. Gerade die automatische Vollziehung schreckt Unternehmen ab: Es ist gerade der Vorteil von Smart Contracts, dass kein Mensch mehr Zwischenschritte vornehmen muss, sondern dass alles vollautomatisiert verhandelt, bestellt und beladen wird. Doch genau hier entzieht sich der Vorgang auch der unmittelbaren Kontrolle der Menschen und das schafft Unsicherheit für Rechtsfragen wie Anfechtung und Irrtümer. „Dann braucht die Industrie rechtssichere Lösungen dieser Streitfälle – sonst wird sich die künstliche Intelligenz wegen des hohen Risikos überhaupt nicht erst durchsetzen können“, so der leiter der Studie, der Direktor des Instituts für Rechtsinformatik der Universität des Saarlandes Georg Borges. (Quelle) Und genau das wurde durch diese Simulationsstudie in einem ersten Schritt erreicht, auch wenn sicherlich manche Urteile in einigen Jahren dann doch auch anders ausfallen. Schließlich ist es wie in jedem neuen Rechtsgebiet, dass zunächst durch ständige Rechtsprechung und Gesetzgebung feste Rahmenbedingungen gesetzt werden müssen und so Ermessensspielräume ausgefüllt werden, die heute noch zu Unsicherheit führen.
„Dann braucht die Industrie rechtssichere Lösungen dieser Streitfälle – sonst wird sich die künstliche Intelligenz wegen des hohen Risikos überhaupt nicht erst durchsetzen können.“
Direktor des Instituts für Rechtsinformatik Uni Saarland,Georg Borges


5. Was wird in Zukunft kommen?
Als Ausblick eignet sich die Einleitung der Uni Saarland zum Projekt: „In der Zukunft wird künstliche Intelligenz in der Industrie viele alltägliche Abläufe automatisieren. Ersatzteile und Rohstoffe werden automatisch bestellt, wenn die Vorräte zur Neige gehen, oder Firmen automatisch beauftragt, Reparaturen auszuführen. Waren werden autonom ausgeliefert, LKWs smart beladen. Aber auch hier werden Dinge schief gehen.“
Genau so ist es. Und das ist exakt die Lage, in der wir uns heute befinden – nur eben digitaler. Dass die Digitalisierung das Recht verändert ist klar. Und dabei hinkt das Recht manchmal durchaus nach, was zu Rechtsfortbildung und Verunsicherung führen kann. Abschließend hierzu nochmals Prof. Georg Borges: „Nur wenn es gelingt, reale und virtuelle Welt wieder zusammenzubringen, können wir diese Rechtssicherheit gewährleisten“ (Quelle).