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Sind Massenklagen wirklich schlecht?

Sie haben einen fast schon angsteinflößenden Ruf: Massenklagen, also meist automatisiert eingereichte Klagen in einer ungewöhnlich hohen Anzahl. Das Standard-Beispiel hier ist der Diesel-Skandal, der als einzelner Auslöser zu fast einer halben Million an Klagen führte. Bei 20.000 Richtern in Deutschland erkennt man schnell, welches Problem diese Form der Massenklagen für unseren Rechtsstaat haben kann. Doch wie können so viele Klagen überhaupt eingereicht werden? Liegt das alles an dieser „neuartigen“ Musterfeststellungsklage oder ist KI mal wieder Schuld? Und: Sind Massenklagen eigentlich gut oder böse?

1. Ähnliche Klageformen

Eine Massenklage muss sauber definiert und von anderen Klagearten unterschieden werden, um Verwirrungen zu vermeiden. Etwa gibt es in den USA (schon lange) die sog. class action, welche eine einzelne Klage ist, die aber in ihrem Ergebnis für unzählige weitere Fälle zählt (mehr als das common law es ohnehin bestimmt). Die anderen Personen müssen nicht selbst Klage erheben.

Im deutschen Recht hingegen gibt es zunächst die aktive und passive Streitgenossenschaft (je nach dem, auf welcher Seite sich die Mehrzahl befindet). Doch weder diese in den §§ 59 ff. ZPO geregelten Fälle, noch die richterlich angeordnete Prozessverbindung in § 147 ZPO entspricht dem hier gemeinten Verständnis einer Massenklage, sondern sind Formen einer Sammelklage. Auch die Verbandsklage für Umweltverbände in § 2 UmwRG ist zwar eine durch Personenmehrzahl bestimmte Popularklage und dennoch nicht der hier gemeinte Fall.

2. Definition

Tatsächlich stellen Sammelklagen in gewisser Weise sogar das genaue Gegenteil zu Massenklagen dar: Eine Vielzahl an ähnlichen/gleichen Fällen wird gebündelt und dann einmalig entschieden. Wenn dies auch bei Massenklagen so wäre, dann gäbe es ja keinen Grund zur Sorge vor einer etwaigen Überlastung der Gerichte durch zu viele Verfahren. Vielmehr sind die in der ZPO aufgeführten besonderen Prozessarten eben die Antwort des Zivilprozess-Gesetzgebers auf das im Folgenden diskutierte Problem. Doch leider ähneln sich bei Massenklagen zwar die Sachverhalte (es geht um eine Flugverspätung) doch sind sie nicht gleich (unterschiedliche Flüge/Anschlusstermine etc). Somit liegen keine Streitgenossen vor, sondern die Fälle müssen einzeln beurteilt werden – also in unzähligen Verfahren. Dies ist hier mit Massenklagen gemeint: Eine besonders hohe Anzahl an einzelnen Klagen, die aus einem Sachverhalt als Auslöser stammen können, aber auch nicht müssen.

3. Massenklagen aus mehreren Sachverhalten

Denn Massenklagen müssen nicht zwingend immer aus einer gemeinsamen Situation entspringen, wie dem Diesel-Skandal. Eine Massenklage kann auch dadurch entstehen, dass ein Online-Portal kostenfrei Mietminderungen durchsetzt. Die Minderungsgründe und die Sachverhalte samt Vermieter und Mieter werden sich dabei stark voneinander unterscheiden und dennoch wäre es eine Massenklage, die eben eine andere Gemeinsamkeit hat.

Der Unterschied dazu, dass einfach viel geklagt wird (nicht alle Mietminderungen in Deutschland sind eine zusammenhängende Massenklage, auch wenn sie Gemeinsamkeiten haben), ist die innere Verbundenheit bzw. die durch einen Trigger ausgelöste hohe Anzahl. Und damit kommen wir auch zum technischen Hintergrund von Massenklagen. Wie sind sie überhaupt möglich?

4. Massenklagen durch Legal Tech

Die hohe Anzahl an Klagen ist heutzutage nur durch Legal Tech möglich. Ein Praxisbeispiel: Ein Jura-Youtuber betreibt seine eigene Kanzlei und macht nun im Video Werbung „Scannt einfach den QR-Code, den ihr hier seht und wir checken kostenlos für euch, ob ihr von einem Datenleck betroffen seid und Geld von Meta bekommt.“, um seine Zuschauer auf völlig intuitive und niedrigschwellige Art zum Beauftragen seiner Kanzlei zu bringen. Der gescannte QR-Code wird verbunden mit einer Datenbank, es werden in Sekundenschnelle Daten abgeglichen und dann eine automatische Antwort an den Zuschauer gegeben. Mit wenigen Klicks hat er die Chance auf Geld, völlig ohne Kosten. Erst wenn er Geld bekommt behält die Kanzlei 10 % davon ein. Das ist ein geringer Preis, doch „die Masse macht’s„.

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5. Sind Massenklagen eine Gefahr oder gut?

Die Antwort auf diese Frage ist einfach: Ja, Massenklagen sind eine Gefahr. 20.000 Richter sollen Millionen an Klagen einzeln bearbeiten? Selbst mit kopierten Texten und Leiturteilen ist das kaum machbar. Diese Überflutung der Gerichte mit Streitwerten von 50-100 Euro bei Flugverspätung oder sonstigen Kleinigkeiten hält die Gerichte dann von der Arbeit an sehr viel wichtigeren Fällen ab. Selbst nun schon gilt die lange Bearbeitungszeit von juristischen Anliegen als Hauptgrund für fehlendes Vertrauen und Inanspruchnahme des Rechtsstaates.

Andererseits sind Massenklagen damit auch ein Weg zu mehr rechtsstaatlicher Durchsetzung: Wenn die Klage mit wenigen Klicks eingereicht werden kann und so die Hürden für juristische Laien abgebaut werden, setzen diese sehr viel öfter die ihnen zustehenden Rechte wirklich durch. Am Ende ist es das, was wir wollen, also müssen wir es durch ebenso fitte technologische Unterstützung auf Seite der Gerichte auch ermöglichen. Juristen müssen einmal mehr sich offen zeigen für das neue Zeitalter.

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