Woher kommt es, dass immer mehr Kanzleien auch Arbeitnehmer ohne Staatsexamen beschäftigen? Schaffen so viel weniger Studenten das Staatsexamen? Nein, vor allem wird durch Legal Tech das Staatsexamen für die Kanzleiarbeit immer unwichtiger. Doch ganz ohne Staatsexamen ist doch juristische Arbeit gar nicht möglich… oder? Nach einem Blick auf das bisherige Arbeitsmodell in Teil 1 geht es nun um die neue Form des Arbeitens. Was ändert sich an der Arbeitsstruktur und was bedeutet das für den Abschluss des Staatsexamens? In Teil 3 geht es dann um den Bachelor in Jura.
1. Rückblick
Bisher galt das Pyramiden-Modell: Ein Partner mit mehreren Seniors (Managing Associates), die jeweils mehrere Juniors (Associates) unter sich haben. Die einfachsten Aufgaben oder sehr zeitintensive Arbeiten werden nach ganz unten gegeben. Komplexe Aufgaben, die die Erfahrung der Juniors übersteigen werden von den Seniors bearbeitet. Stoßen diese auf Probleme, wenden sie sich an den Partner, der zudem den Mandanten und das Mandat betreut und leitend beaufsichtigt. Die Pyramide von oben nach unten bezieht sich sowohl auf die Gehaltstruktur, als auch die Verantwortung und Macht. Die so entstandene Hierarchie ermöglicht es, dass etwa 10 oder mehr Personen an einem Mandat arbeiten, während dennoch alles kontrolliert werden kann und nicht jeder nur vor sich hin arbeitet.
2. Der Wandel der Pyramide
Wie in jedem Arbeitsfeld ändert sich auch die Struktur der Kanzleien im Laufe der Zeit – wenn auch bisher wohl weniger als in anderen Branchen. Flache Hierarchien gibt es wohl höchstens in kleinen Kanzleien, schließlich ist die Rechtsbranche dann doch nicht die Branche der Start-Ups. Hoher Arbeitsaufwand in Großkanzleien ist auch heute noch Gang und Gebe, jedoch findet dort gerade ein Wandel im Zusammenhang mit der Gen-Z statt. Angenehmeres Arbeitsklima, Work-Life-Balance und Spaß an der Arbeit anstelle von Geld scheinen mehr in den Fokus zu rücken. Doch dies sind nicht die entscheidenden Faktoren, weshalb sich die Pyramidenstruktur in Zukunft ganz und gar in seiner grundlegenden Form ändern wird.
3. Legal Tech als Transformation
Was sich nun ändert ist auch nicht die eigentliche Hierarchie – eine solche Änderung kommt vielleicht eher durch eine jüngere Generation als durch die technologische Entwicklung. Ein Stufensystem bleibt also erst einmal bestehen, doch ändert sich die „geometrische“ Form der Staatsexamen-Absolventen von einer Pyramide mehr zu einer Art Säule. Das hat damit zu tun, dass nun die drei Stufen eine beinahe gleiche Größe haben. Im Schema lässt sich zwar immer noch eine Pyramide erkennen, doch nur um den Vergleich deutlicher zu machen. Grundsätzlich lässt sich die Arbeitsstruktur selbstverständlich auf verschiedenste Weise ausdrücken und nicht nur als Form. Doch weder die Mitarbeiteranzahl, noch ähnliche Kennzahlen zeigen diese eher subtile und schleichende Transformation überhaupt.
4. Das neue Modell
Im neuen Modell steht an der Spitze unverändert der Partner. Doch unter ihm folgt ein Senior oder Managing Associate. Das ist im Vergleich zur bisherigen Struktur die Hälfte. Hier also hört bereits die Pyramide eigentlich schon auf. Anstatt dass Level 2 doppelt so groß ist wie Level 1, ist es nun die gleiche Anzahl an Mitarbeitern auf beiden Ebenen. Aus dem Dreieck oder der Pyramide wird eher eine Säule. Und hier wird deutlich, warum das Staatsexamen so viel weniger gebraucht werden wird: Natürlich werden die Partner weiterhin Volljuristen sein. Doch der eigentliche Workload wird anders verteilt.
Noch drastischer wird das auf Ebene 3: Anstelle einer Verfünffachung oder gar Verachtfachung im Vergleich zu Ebene 1 haben wir nun höchstens eine Verdopplung! Dieser Rückgang von etwa 75% im bisher größten Bereich ist wohl die entscheidende Veränderung der Arbeitsstruktur. Wenn das Staatsexamen sich nicht also an diese Entwicklung anpasst, wird es im gleichen Maße an Relevanz einbüßen. Wenn es sich jedoch als moderne Schnittstelle erweist, kann es den Weg in die neue Zukunft des Kanzleialltags ebnen.
Oder führt dieser Trend schlussendlich dazu, dass bald alle nur noch einen Bachelor machen? Hierzu Teil 3!