Unser Nachbarland sollte uns in einigen Bereichen des Legal Tech ein Vorbild sein: Der Digitale Akt zeigt seit Ende 2023 enorme Wirkung und katapultiert das kleine Land technologisch in der gesamten Rechtsbranche nach vorn. Das zeigt auch eine Auswertung der Legal Tech Map 2024 von future law, welche eine seit 2017 jährlich erscheinende Einordnung von Trends, Statistiken und Prognosen im Bereich Legal Tech in Österreich ist. Deutlich wird hierbei aber auch, dass Fachkräftemangel, Berentung der Baby-Boomer und eine gewisse Skepsis gegenüber Technik nicht nur typisch deutsch sind – auch unser kleinerer Nachbar hat in seiner Rechtsbranche genau hiermit zu kämpfen.
1. Was ist die Legal Tech Map?
Grundsätzlich ist sie eine Studie von future law, welche seit 2017 als jährlich erscheinende Einordnung von Trends, Statistiken und Prognosen im Bereich Legal Tech in Österreich Licht ins Dunkel bringt. Interessant sind dabei nicht nur die Auswertungen der einzelnen Ergebnisse: Allein schon die breite Fächerung an untersuchten Kategorien zeigt im Vergleich zum Rechtsmarkt vor einigen Jahren, wie sehr Legal Tech sich ausgebreitet hat. Unterteilt wurde in: Doc Drafting, Contract Management, E-Signature, Legal Tools, Tech Based Legal Advice, Matter Management, Legal Database & Research, Legal Search, Whistle Blowing, Legal Tech Builder, Legal Accelerator, Legal Intelligence, Legal Recruitement, Lawyer Discovery, Law to Students, Legal Tech Property, Legal Marketing, Legal Tech Enabler.
Die einzelnen Ergebnisse sind auf der Website von future law zu finden. Ein vergleichender Blick kann sich auch für deutsche Kanzleien sehr lohnen – Österreich hat sich im Bereich Legal Tech schon öfter als einige Monate voraus präsentiert und kann als kleine Glaskugel für Entwicklungen in Deutschland dienen.
2. Es tut sich was am Markt
In der eigenen Video-Analyse der Ergebnisse gibt Gründerin Sophie Martinetz als einen großen Grund für den derzeit zu beobachtenden Wandel im Rechtsmarkt den ChatGPT-Effekt an. Auch 2 Jahre nach seiner Einführung erzeuge er eine FOMO, also eine fear of missing out – oder zu deutsch: Eine Angst, etwas (Wichtiges) zu verpassen.
Diese Entwicklung stimmt exakt mit Tendenzen in Deutschland überein. Schon in einer Phase in 2015/16 und nochmals etwa Ende 2021 gab es ähnliche Effekte. Meist wurden sie durch kumulative große Ankündigungen bekannter Player auf dem Markt ausgelöst. Zunächst bildete sich ein Hype (der bei ChatGPT aber natürlich völlig andere Ausmaße annahm), der von Euphorie geprägt war. Darauf folgte ein Umschwung in Angst und Panik gepaart mit Weltuntergangs-Szenarien und Stimmen, die die Relevanz des Themas völlig negierten.
Doch irgendwann ergab es sich bei all diesen Phänomenen, dass aus dem Hype eine praktische Umsetzung wurde. 2015/16 starteten etwa einige Großkanzleien tatsächlich eine radikale Digitalisierung und alle Mitbewerber bemerkten das. Und spätestens ab dort kann sich vor dem Thema niemand mehr verstecken, der es ursprünglich als Hype abgetan hatte.
3. Sinnvoll sollte der Einsatz sein
Nach Sophie Martinetz befindet sich der Markt nun eben in der Phase, wo die FOMO dazu führt, dass Kanzleien und Unternehmen verzweifelt versuchen, der technologischen Welle hinterher zu schwimmen. Sie beobachtet dabei, dass Kanzleien gern „Anfängerfehler“ begehen und blind loslegen. Statt aber um der Digitalisierung wegen zu digitalisieren sollten sich Kanzleien genau Gedanken machen, was zu ihnen passt und was ihnen einen echten Mehrwert verschafft.
Dass die einzelnen Tools diesen Mehrwert bringen können, steht für sie jedoch außer Frage. Und so erwartet sie insbesondere für das nächste Jahr einen weiteren großen Disruptions-Schub, der den allgemeinen Trend der letzten Jahre fortsetzt und verstärkt. Auch in Deutschland könnte dies gut sein, da sich nun nach dem Abklingen des teilweise schlicht nervigen KI-Hypes eine wirkliche Gelegenheit für Kanzleien ergibt, sich in Ruhe mit dem Thema zu beschäftigen und sich etwa eine Kanzleisoftware als ersten Schritt anzulegen.
4. Der Nachwuchs fehlt
Ein ebenso in Deutschland bekanntes Problem ist die Berentung der Baby-Boomer. Nach Martinetz stünde für Anwälte, die jetzt berentet werden, je ein halber 15-jähriger Nachwuchsjurist bereit. Dieser ist natürlich noch locker ein Jahrzehnt davon entfernt, Arbeit zu übernehmen und müsste dies ja schon jetzt doppelt tun.
Hier kommt Automatisierung in einem ganz natürlichen Wege ins Spiel. Wenn Arbeit besteht, die sich technisch abkürzen lässt, dann wird dies besonders dann gern gemacht, wenn sonst die Arbeitslast einfach nicht zu bewältigen wäre. Plump gesprochen war das bei der industriellen Revolution vor einem Jahrhundert nicht anders. Und damals wie heute zwingt die Konkurrenz schließlich auch den letzten Zweifler zu effizienteren, kostengünstigeren und schnelleren Arbeitsabläufen.
5. Besonderheiten in Österreich
Doch unser Nachbarland hat auch Entwicklungen zu bieten, die hier in Deutschland noch gar nicht absehbar sind. Das lässt sich vor allem auf den Digitalen Akt zurückführen, welcher seit Ende 2023 vorschreibt, dass sämtliche (zivilrechtlichen und justizverwaltungsrechtlichen) Fälle vor Gericht ausschließlich (!) digital geführt werden. Hierdurch sei ein „Push“ des gesamten Bereichs Legal Tech entstanden, der fortwirkt und sich in diesem Jahr immer weiter ausbreitet.
Am ehesten lässt sich dies mit dem verpflichtenden beA in Deutschland vergleichen. Und auch lässt sich der Effekt beobachten, dass die eher verhalten technik-begeisterungsfähige Jura-Welt sich dann doch schnell in der Praxis von den Vorzügen überzeugen lässt, wenn sie sich denn mal (gezwungenermaßen) mit dem Thema beschäftigt.
In diesem Sinne gilt in Österreich wie in Deutschland: Trauen Sie sich was! Ausprobieren bzw. reinlesen kostet nichts und bringt schon mittelfristige Sicht enorme Vorteile mit sich!