Mit dem Eintritt des „Legal Tech Gesetzes“ letzten Jahres hat der deutsche Gesetzgeber eine erste Reaktion auf die technologischen Entwicklungen der vergangenen Jahre in der Rechtsbranche gezeigt. Ein Blick auf andere Länder lässt erkennen: Die Verknüpfung von Recht und Technologie hat dort nicht erst seit kurzem Einzug in das Justizsystem gefunden. Um herauszufinden, welchen Einfluss Legal Tech in anderen Ländern bereits bekommen hat, wollen wir drei verschiedene digitale Vorreiterländer unter die Lupe nehmen und schauen, was man sich für die Zukunft abgucken könnte.
Estland: Die eGovernment Erfolgsstory in der EU
Durch den Zerfall der Sowjetunion wurde es dem baltischen Staat Anfang der 1990er Jahre ermöglicht, das Land grundlegend neu aufzubauen. Das nutzten die Esten, um als einer der ersten Staaten weltweit eine digitalisierungsoffene Regierung zu einem Kernbestandteil ihrer Zukunftsstrategie zu machen. Was mit dem e-Ausweis und der digitalen Signatur im Jahr 2002 begann, reichte über die Einführung eines online Wahlsystems 2005 und führt mittlerweile dazu, dass in Estland 99% aller Verwaltungsdienstleitungen online angeboten werden.
Doch nicht nur in Verwaltungsangelegenheiten können die Esten mit massiven Vereinfachungen durch geschickte Digitalisierungs-Lösungen glänzen. Bereits seit 2005 ermöglicht ein zentrales Informationssystem namens „e-File“ den Überblick über Gerichtsverfahren und bildet die Schnittstelle zwischen allen Beteiligten des jeweiligen Prozesses. Der Informationsaustausch erfolgt dabei unmittelbar und digital und überwindet bürokratische Ausbremsungen eines Gerichtsverfahrens. Darüber hinaus wird die Verwaltung von Gerichtsverfahren in Estland mittels Court Information System (KIS) optimiert. Jedes Verfahren wird dabei elektronisch erfasst, wodurch neue Fälle automatisch an die zuständigen Richter verteilt werden können. Derzeit prüft das Justizministerium, ob intelligente Roboter bei kleinen Streitwerten die Stelle eines Richters ersetzen können. Das würde dazu führen, die steigenden Verfahrenszahlen ohne zusätzliche Mehrbelastung und bei gleichbleibender Geschwindigkeit bewältigen zu können.
Singapur: Eine klare Legal Tech Roadmap
Singapur hat sich ebenfalls frühzeitig um die Etablierung von einer zukunftsfähigen Gerichtsbarkeit gekümmert. So ermöglicht das Community Justice and Tribunal System (CJTS) bereits seit 2017 online Ansprüche zu prüfen, Klagen einzureichen oder Verhandlungen durchzuführen. Die frühzeitige Auseinandersetzung mit den entsprechenden technologischen Tools führte dazu, dass das Justizsystem des Stadtstaates sich durch die Corona-Pandemie nicht ausbremsen ließ und Gerichtsverfahren bereits seit dem Beginn der Pandemie in Zoom-Videokonferenzen abgehalten wurden.
Um die Digitalisierung der Rechtsbranche weiter voranzutreiben hat das singapurische Justizministerium im Juli 2021 einen Gesetzesentwurf zu einer umfassenden digitalen Transformation der Zivil- und Strafgerichtsbarkeit vorgelegt. Im Fokus stehen dabei vor allem die flexible elektronische Abwicklung von Verfahren, Ortsunabhängigkeit der „Anwesenden“ bei Gerichtsprozessen und ein einfacher Zugang zur Gerichtsbarkeit für die Öffentlichkeit. Des Weiteren hat sich das Justizministerium durch seine „Legal Industry Technology & Innovation Roadmap“[1] klare Ziele hinsichtlich der Digitalisierung der Rechtsbranche bis zum Jahr 2030 gesteckt. Konkret setzt sich das Justizministerium zum Beispiel im Rahmen von Subventionsprogrammen für eine bessere technische Infrastruktur von Anwaltskanzleien ein und sorgt für eine moderne juristische Ausbildung mit umfassenden Legal Tech Unterrichtsinhalten.
[1] https://www.mlaw.gov.sg/files/news/press-releases/2020/10/Minlaw_Tech_and_innovation_Roadmap_Report.pdf
Bei all dem digitalen Fortschritt dürfen die Schattenseiten des singapurischen Justizsystems nicht außer Acht gelassen werden. So wurde während eines Corona Lockdowns im Jahr 2020 ein Mann, trotz massiver Kritik internationaler Menschenrechtsorganisationen, wegen Drogenhandels per Zoom-Konferenz zum Tode verurteilt.
China: was können wir von dem Giganten lernen?
Um bei dem Blick auf digitale Vorreiterländer nicht nur sehr kleine Länder im Auge zu haben, bei denen sich (technische) Reformprozesse in der Regel schneller und einfacher vollziehen lassen, schauen wir uns zuletzt die Legal Tech Position Chinas an.
Fazit
Ob Estland, Singapur oder China. Eins ist klar: Mit ein wenig Experimentierfreudigkeit sowie Technologieoffenheit lassen sich Prozesse optimieren, Arbeit vereinfachen und das Recht zugänglicher machen. Das gelingt nicht nur den kleinen Ländern Estland und Singapur, sondern ist auch im riesigen China möglich. Für Deutschland gilt also: Wir können uns in Sachen Legal Tech weltweit noch eine ganze Menge abschauen.
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