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Legal Tech in den Rechtsgebieten: Arbeitsrecht

Im Nachfolgenden wird der Effekt von Legal Tech auf das Arbeitsrecht untersucht. Wo sind Einsatzmöglichkeiten? Was erleichtert bzw. erschwert den Einsatz von Legal Tech im Arbeitsrecht? Und warum sollten gerade Arbeitsrechtskanzleien ganz genau hinsehen beim Thema Digitalisierung? Jedes Rechtsgebiet hat seine Eigenheiten und so kann es Unterschiede in der Digitalisierung geben. Eine Kanzleisoftware hilft jeder Kanzlei, während ein KI-Chatbot in manchen Branchen weniger erfolgreich wäre, als in anderen. Hier also ein genauer Blick auf das Arbeitsrecht, welches gleich doppelt von der Digitalisierung betroffen ist.

Einführung: Der „Doppel-Wumms“ des digitalen Arbeitsrechts

Das Arbeitsrecht ist sozusagen gleich doppelt so intensiv von der Digitalisierung betroffen: Denn von zwei Seiten nähert sich der technologische Wandel gleichzeitig. Beide Einflüsse wirken sich jeweils unterschiedlich auf die Arbeit von Anwälten aus, haben jedoch insgesamt den gleichen Hintergrund und das selbe Ausmaß an Veränderungspotenzial.

Die Rede ist einerseits davon, dass Legal Tech die Arbeitsweise eines jeden Anwalts auf kurz oder lang fundamental verändert. Im Arbeitsrecht gibt es hierbei rechtsgebietsspezifische Besonderheiten, auf die später eingegangen wird. Auf der anderen Seite hält bei der Digitalisierung das Arbeitsrecht den logischen Doppeleffekt bereit, dass sich gleichzeitig die Arbeitsmaterie selbst ändert, indem die Digitalisierung sich widerrum auf die Arbeitsweise großer Teile der Arbeitnehmerschaft in Deutschland auswirkt.

Es ändert sich sozusagen in juristischer Analogie gesprochen sowohl der formelle Rahmen (das „Wie?“), als auch der materielle Inhalt (das „Was?“) des Arbeitsalltags von Juristen im Arbeitsrecht.

1 Materieller Inhalt: Die Verknüpfung von Arbeitsrecht und Arbeitswelt

Zunächst der Blick auf die Arbeitsmaterie: Es wäre natürlich ein auf fatale Weise generalisierter Blick auf das Arbeitsrecht, wenn es tatsächlich lediglich als Recht der Arbeit aufgefasst würde. In seinen vielen Facetten spiegelt das Arbeitsrecht weitaus mehr wider als Streikrecht, Kündigungsschutz und sonstige Standards, die im kurzgreifenden Studium gelehrt werden. Grundsätzlich lässt sich jedoch festhalten, dass dieses Rechtsgebiet enger als andere mit dem Arbeitsleben Deutscher verbunden ist. Und so ist auch im Inhalt der meisten Arbeitsrechtler eine direkte Verknüpfung zu den bestimmenden Strömungen der Arbeitswelt eingearbeitet. Ändert sich die Arbeitswelt, so ändert sich auch die Mandatsarbeit der Anwälte.

„Digitalisierung steht dabei häufig als technische Grundlage für einen erweiterten Kontroll- und Steuerungszugriff auf Arbeit, der zunehmend auch höher qualifizierte Tätigkeiten erfasst.“

Volker Baethge-Kinsky, Martin Kuhlmann, and Knut Tullius1

1.1 Die gesamtdeutschen Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt

Es wird kaum überraschen, dass die Arbeitswelt sich im letzten Jahrzehnt geändert hat. Und doch kommt die Veränderung nach all der jahrelangen Kritik an zu langsam voranschreitender Digitalisierung doch fast in unerwarteter Stärke: Von Crowdworking über Home-Office bis hin zu KI hat Technologie einen erfolgsgekrönten Einzug in das Arbeitsleben von fast allen Arbeitnehmern gehalten, ebenso wie KI-Analyse-Tools, eine digital vernetzte Globalisierung und einhergehendes Outsourcing und Social-Media-Marketing die Arbeitsweise von Arbeitgebern maßgeblich neu gestalten. Dies sind nur wenige Beispiele für einen Trend, der vielleicht lange überfällig ist und von den kleinsten Prozessen bis hin zu ganzen Branchen und Arbeitsformen zu Disruptionen führt.  

1.2 Technik als treibender Faktor des Wandels

Es ist für manche wohl anstrengendster und für andere der schönste Teil des Berufs: Man muss sich selbstverständlich an die Herausforderungen des digitalen Zeitalters anpassen. Schon vor hunderten Jahren haben technische Innovationen wie etwa ein Pflug zur Bearbeitung des Feldes zu disruptiven Änderungen der Arbeitswelt geführt. Doch hat das keinen Arbeitsrechtler interessiert, weil das Arbeitsrecht noch nicht einmal entwickelt worden war. Erst mit der industriellen Revolution mehrten sich dann so sehr die Stimmen, die einen Schutz von Arbeitnehmern auf juristischer Basis forderten, dass schließlich ein codiertes Rechtsgebiet entstand. Und auch das somit relativ junge (vgl. etwa die Geschichte sonstigen Zivilrechts im römischen Recht) Arbeitsrecht hat schon einige Wandel durchgemacht. Gleich bleibt immer: Die Technik gibt den Takt vor durch „ihre regelbasierte, das individuelle und kollektive Verhalten steuernde, Wirkung. So binden technisch strukturierte Prozesse der Arbeitsteilung die Arbeitskräfte in einen bestimmten Produktionsrhythmus ein (zum Beispiel Fließband)“2. Heutzutage ist jedoch fast jeder Arbeitsplatz technisch an- und somit eingebunden. Dass somit die Entwicklung der Technik unmittelbar über ihre enge Beziehung zu den Arbeitnehmern deren Arbeitsleben verändert, ist nur logisch. Vom Fließband bis zur KI hat sich hier viel getan und das spiegelt nun eben auch das Arbeitsrecht wider.

1.3 Neue Rechtsfragen und Arbeitsmarkt-Forschung zur Zukunft der Digitalisierung

Anwälte im Arbeitsrecht müssen sich nun etwa fragen, ob eine KI-basierte Auswahl an Bewerbern eigentlich gegen das AGG verstoßen kann. Oder wie können eigentlich Nachweise zu Verschuldensanteilen bei digitalem Crowdworking prozesssicher gewonnen werden? Kann mein Chef mich dazu verpflichten, bei Meetings meine Kamera einzuschalten? Kann er andererseits über die gesamte Dauer mein Mikrofon sperren? In progressiveren Forschungsthesen wird gar eine Überarbeitung des Arbeitnehmer-Begriffs in Zeiten der Digitalisierung gefordert.3 Und das ist erst der Anfang:

Denn diesen Trend bestätigt auch die Forschung. „Angesichts massiver Investitionen in Digitalisierungstechnologien und einem politischen Agenda-Setting, das die Alternativlosigkeit einer ‚digitalen Transformation‘ beschwört, mehren sich auch in der Arbeitsforschung Stimmen, die der Technik eine hohe, quasi-deterministische Prägekraft auf Arbeit zuschreiben.“4

Es ist damit für Anwälte im Arbeitsrecht unerlässlich, sich mit diesen Themen auch weiterhin zu beschäftigen. Allein deshalb ist dieses Rechtsgebiet so geeignet für die eigene Digitalisierung bzw. Legal Tech: Anwälte des Arbeitsrechts bringen meist aus der Natur ihrer eigenen Materie heraus eine offenere Haltung bzgl. technischen Neuerungen mit.

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2 Formeller Rahmen: Legal Tech in der Arbeitsrecht-Kanzlei

Doch natürlich ändert sich nicht nur die Arbeitswelt aller anderen, sondern auch die der Arbeitsrechtler. Generell kann momentan ein ungebrochener Trend der Digitalisierung der Rechtsbranche beobachtet werden. Angefangen hatten Großkanzleien, dann mittelständische Kanzleien, die ihren Konkurrenten Druck machen wollten. Spätestens seitdem die Justiz als Institution Teil der Digitalisierung wurde erreicht sie jedoch jeden. Im Arbeitsrecht gibt es hierbei Besonderheiten, die den Einsatz von Legal Tech größtenteils bestärken und teilweise einschränken.

2.1 Legal Tech wie sonst auch

Zunächst einmal muss festgestellt werden, dass alle generellen Formen von Legal Tech auch im Arbeitsrecht Anwendung finden können. Das ist ein gutes Zeichen für alle Arbeitsrechtskanzleien und diese Chance sollten sie, wie auch die anderen Rechtsgebiete, möglichst schnell nutzen. Dokumentenanalyse gibt es bei langen Arbeitsverträgen ebenso wie bei anderen Verträgen. Eine digital geführte Kanzlei erleichtert die Arbeit mit E-Akten auch im Arbeitsrecht. Auch KI-Chatbots sind im Arbeitsrecht ohne Abstriche verwendbar, um nur einige Beispiele zu nennen. Ebenso ist das Arbeitsrecht von den EU-weiten Auswirkungen von Legal Tech betroffen.5

Laut einer Forschung der Ruhr Universität Bochum6 gibt es im Arbeitsrecht (Stand 2022) ca. 90 Legal-Tech-Anbieter. Diese sind meist spezialisiert und decken einen kleinen Teilbereich ab, während eine systematische Erschließung des Rechtsgebiets als eigenständiger Legal-Tech-Anbieter fehlt.

2.2 Herausforderungen im Arbeitsrecht

Doch gibt es auch Faktoren, die einen Einsatz bestimmter Legal-Tech-Tools weniger lukrativ machen. Die Studie nennt hierbei unter anderem, dass Mandanten in diesem Rechtsgebiet (und im Sozialrecht) meist weder überdurchschnittlich wohlhabend seien, noch besonders oft Rechtsrat suchten. Das mag für Arbeitnehmer gelten, die wohl z.B. nicht öfter als ein paar mal einen Kündigungsschutz suchen werden. Für Arbeitgeber gilt dies jedoch nicht – im Gegenteil haben sie meist gleich viele Arbeitnehmer auf einmal, die zu einem Rechtsgesuch führen können. Außerdem würde die „Rechtsmobilisierung“ dadurch gehemmt, dass es eine Angewiesenheit auf Fehler anderer (etwa der Arbeitgeber) geben würde. Dies mag in Teilen stimmen, schließt jedoch nicht den Einsatz standardisierter Verfahren aus und ist auch nicht Grund zur Sorge vor einer Massenuntauglichkeit. Es ist zwar richtig, dass etwa Flugreiseverspätungen einfacher zu skalieren sind als ein Kündigungsschutz. Andererseits heißt das nicht, dass Massenverfahren nicht auch im Arbeitsrecht Einzug halten werden. Viel eher könnte es auf einen umso härteren Preis- bzw Zeit-Konkurrenzkampf der Anbieter hindeuten. Es wird also nur noch wichtiger, sich selbst konkurrenzfähig zu machen, indem die „wenigen“ (die meisten Kanzleien dürften mehr als genug davon haben) Mandate, die anfallen, dann möglichst effektiv bearbeitet werden.

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2.3 Warum der Einsatz von Legal Tech im Arbeitsrecht so wichtig ist

Auf der anderen Seite gibt es jedoch gute Gründe, warum gerade im Arbeitsrecht notwendig ist: Einerseits führt es Gesellschaftlich zu dem gewünschten Ausgleichseffektiv des Machtgefälles. Arbeitnehmer als Privatpersonen werden oftmals in Anbetracht der finanziellen Übermacht des Arbeitgebers von Rechtsschutz absehen. Mit niedrigschwelligen Angeboten durch Legal Tech können genau sie gezielt angesprochen werden, sodass sich dies für Kanzleien besonders lohnt, weil ein völlig neuer Mandantenkreis erschlossen wird.

Gleichzeitig ist die Kosteneffizienz für Arbeitgeber ein entscheidender Auswahlfaktor bei der Wahl ihrer Arbeitsrechtskanzlei. Im Hinblick auf immer mehr Regulatorien und Richtlinien (etwa Whistleblower) werden sie sich daher an Kanzleien wenden, die in einem möglichst simplen Tool per wenige Mausklicks eine vorläufige Einschätzung der Rechtmäßigkeit eigener Vorgänge bietet. Wer hier nicht uptodate bleibt, wird sich in wenigen Jahren wundern, warum der Stammmandant nicht mehr vorbeikommt und Fragen stellt, sondern sie fast wie durch „googlen“ auf der Website einer anderen Kanzlei sich selbst beantworten kann.

Arbeitsrechtskanzleien sind daher gut beraten, selbst und aktiv diesen Digitalisierungsprozess der eigenen Rechtsbranche mitzugestalten.7

  1. Volker Baethge-Kinsky, Martin Kuhlmann and Knut Tullius. „Technik und Arbeit in der Arbeitssoziologie-Konzepte für die Analyse des Zusammenhangs von Digitalisierung und Arbeit.“ AIS-Studien 11.2 (2018): 91-106, zitiert nach Google Scholar. ↩︎
  2. Ulrich Dolata, and Raymund Werle. „Bringing Technology Back In: Technik als Einflussfaktor sozioökonomischen und institutionellen Wandels.“ Schriften aus dem Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung. Gesellschaft und die Macht der Technik: Sozioökonomischer und institutioneller Wandel durch Technisierung. Campus Verlag Frankfurt/New York, 2007, S. 21. Abrufbar hier. ↩︎
  3. Ulrich Mückenberg. „Rethinking the concept of the „employee“ in the age of digitalisation: A new relationship between work and legal protection.“ Working Paper Forschungsförderung No. 113, Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf, 2018. Abrufbar hier. ↩︎
  4. Volker Baethge-Kinsky, Martin Kuhlmann and Knut Tullius. „Technik und Arbeit in der Arbeitssoziologie-Konzepte für die Analyse des Zusammenhangs von Digitalisierung und Arbeit.“ AIS-Studien 11.2 (2018): 91-106, zitiert nach Google Scholar. ↩︎
  5. Siehe etwa zum Phänomen „Eurolegalism“: Britta Rehder and Katharina van Elten. „Legal Tech & Dieselgate Digitale Rechtsdienstleister als Akteure der strategischen Prozessführung.“ Zeitschrift für Rechtssoziologie, Band 39, Nr. 1, 2019, S. 64-86.  ↩︎
  6. Birgit Apitzsch, Britta Rehder. „Legal Tech im Arbeits- und Sozialrecht.“ Ruhr Universität Bochum, Hans-Böckler-Stiftung, 2022. Abrufbar hier. ↩︎
  7. Britta Rehder, Birgit Apitzsch and Berthold Vogel. „Legal Technology im Arbeitsrecht: Ein Thema für industrielle Beziehungen und Arbeitsforschung?“ Arbeit, Band 30, Nr. 4, 2021, S. 357-374. Abrufbar hier↩︎

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